SAUERBAUM
Die DDR schrieb sich den Naturschutz auf die Fahnen. Doch im Laufe der Jahre mehrten sich massive ökologische Probleme. Spätestens nach dem katastrophalen Unfall in Tschernobyl 1986 entstand ein breites Umweltbewusstsein der Ostbürger, sowie eine oppositionelle Umweltbewegungen. Wenn diese damals ein Spiel gespielt hätten, dann hätte es gut und gerne das kooperative West-Spiel "Sauerbaum” sein können – das Ziel: Rette den Baum vor saurem Regen. Kein Wunder, dass es Ende der 1980er auch in der DDR kopiert wurde.
Auf den ersten Blick scheint die Umweltpolitik der DDR fortschrittlich gewesen zu sein, schließlich wird bereits in der Verfassung von 1968 der Schutz der Natur als Pflicht des Staates und der Gesellschaft erklärt:
“Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.” (DDR Verfassung vom 6. April 1968, Artikel 15, 2)
1972 setzte die DDR, als einer der ersten Staaten weltweit, ein Ministerium für Umweltschutz- und Wasserwirtschaft ein. Damit positionierte sich der sozialistische Teil Deutschlands in aller Deutlichkeit gegen den kapitalistischen Nachbarn, dem man vorwarf im Zuge des kapitalistisch-imperialistischen Vorgehens, die Erde im Sinne des eigenen Profits auszubeuten. Zügig jedoch erwies sich, dass die hehren Ziele, wenn sie denn jemals ernst genommen wurden, kaum haltbar waren. Die ökologische Probleme nahmen rapide zu: So stieg die Luftverschmutzung in größeren Industrieregionen (Halle, Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt) aufgrund der Braunkohleverbrennung stark an und auch die Wasserverschmutzung durch chemische Betriebe im Raum Halle, Leipzig, Bitterfeld nahm zu.1
Im Keller des Gemeindehauses der Berliner Zionskirchengemeinde etablierte 1986, unter dem Namen Umwelt-Bibliothek, eine oppositionelle Umweltbewegung. Zwei Räume der berüchtigten Kirche dienten als Treffpunkt der Oppositionellen. Zeitschriften und Bücher, nicht zuletzt verbotene, wurden gelesen und ausgetauscht, sowie Vorträge oder Filmvorführungen abgehalten. Aus der Bewegung erwuchsen wichtige alternative Medien, wie die Samisdat-Zeitschrift “Umweltblätter” (später: “telegraph”). Nicht verwunderlich ist daher, dass die Bewegung der Staatssicherheit mehr und mehr ein Dorn im Auge war und am 24. November 1987 auch mit einer Razzia gegen sie vorgegangen wurde.
Ob sich der Pfarrer der Zionskirche Hans Simon und der Pfarrer aus Eisenach Christian Trappe kannten ist bisher noch unklar. Genauso wenig wissen wir, ob in der Umweltbibliothek damals neben Lesungen und Filmvorführungen auch Spieleabende stattgefunden haben. Sicher ist jedoch: Hätten Spieleabende stattgefunden, hätten sich die Spieler gewiss über das Spiel Sauerbaum gefreut, das genau zu jener Zeit in der BRD erschien und von dem eben genannten Pfarrer Trappe kurzerhand kopiert wurde. Rette den Baum vor sauren Regen, so lautet das simple Spielziel dabei.
Das besondere an dem Spiel, das uns über die umfassende Spielesammlung von Rudolf Rühle zugetragen wurde, ist jedoch nicht allein das zeitgemäße Thema des Naturschutzes, sondern auch, dass es sich um ein kooperatives Spiel handelt, was damals noch weit weniger etabliert war.
Kooperative Spiele, in denen die Mitspieler nicht agonal – also gegeneinander – agieren, sondern eine Gemeinschaft bilden und quasi versuchen das Spiel zu besiegen, waren zu der Zeit wenig in Mode. Wenn dann galten sie als Kinderspiele und waren für mangelnde Spannung verrufen. Doch der Trend der schon einige Jahre vorher aus Nordamerika überschwappte, wurde 1988 mit Sauerbaum aufgegriffen. Der saure Regen nimmt zu und die Spieler müssen versuchen mit optimalen Würfen so viele saure Regentropfen wie möglich vom Baum fern zu halten, damit die toxische Flüssigkeit nicht die Wurzeln des Baumes erreicht und ihn sterben lässt. Dabei müssen sich die Spieler gegenseitig unterstützen um das gemeinsame Ziel – die Rettung der Natur – zu erreichen. Das Spiel ist damit ein Zeugnis seiner Zeit, sowohl in der BRD als auch gut und gerne in seiner kopierten Form in der DDR. Es vermittelt nämlich nicht nur einen kooperativen Gedanken, sondern in aller Deutlichkeit den Subtext: Schützt die Natur. Nicht der Krieg der Spieler steht im Mittelpunkt, sondern ein Miteinander.
Nicht umsonst hat Sauerbaum 1988 einstimmig den Sonderpreis Kooperatives Familien von der Jury des Spiel des Jahres verliehen bekommen. Sie sagten über das Spiel:
“Bei SAUERBAUM stimmt einfach alles: die hervorragend durchstrukturierte, in sich bündige und zugleich überzeugende Spielidee, die klare Spielregel, die sorgfältig bearbeitete Grafik – der große Wurf.”2
Damit ist das Brettspiel, gerade im Hinblick auf seine Qualität als Vorreiter zu begreifen, für viele weitere kooperative Brettspiele die derzeit aktuell sind und sich größter Beliebtheit erfreuen, so zum Beispiel “Die Zwerge” oder “Pandemie” (beide Pegasus-Verlag). Der kooperative Gedanke ist vergleichbar, nur das Szenario von weniger unmittelbaren gesellschaftlichen Relevanz.
Noch eine kleine Erinnerung: Kommenden Sonntag, den 20.01.2013 sind Geis und ich zur Finissage unserer Ausstellung in der Johannstadthalle Dresden beim “Tag der Ideen”. Wir werden dort gegen 11Uhr eine Abschlusspräsentation unserer Ausstellung halten, einige Videos zeigen und erste Einblicke in unser aktuelles Buch geben. Es würde uns freuen, wenn wir euch dort begrüßen könnten.
Autor: Martin
2 http://www.spiel-des-jahres.com/cms/front_content.php?idcatart=474&id=281
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