LIEGENSCHAFTEN
Es gibt nur eine beschränkte Zahl von Spieleautoren, die von ihrem Erfindergeist hauptberuflich leben können. Noch weniger gibt es, die durch das Spieleerfinden berühmt werden. Einer der wichtigsten Autoren aller Zeiten ist vermutlich Sid Sackson. Seine Spiele und Spielebücher gelangten zu internationaler Anerkennung auch über die Kennerszene hinaus. Auch in der DDR war Sackson, so manchem Spieler ein Name…
Mit “A Gamut of Games” war es endgültig besiegelt: Das Karriereende von Sid Sackson. Denn dieses Buch, dass Sackson 1969 veröffentlichte wurde ein derart durchschlagender Erfolg, dass der gelernte Bauingenieur seinen Beruf an den Nagel hängen konnte, um seiner eigentlichen Bestimmung nachzugehen. Der Junge, der, 1920 geboren, seine Kindheit zur Zeit der großen Rezession erlebte, konnte sich ab 1970 vollkommen den Spielen widmen. Kreativität und Spielergeist waren ihm scheinbar in die Wiege gelegt, denn bereits im Alter von acht Jahren entwickelte er ein Papier- und Bleistiftspiel, dass später zum Welterfolg werden sollte: Acquire (später Titel: “Hotel-Haie” oder “Hotel-König”). Jedem der dieses Spiel kennt, ist die Ironie seiner Entstehung ersichtlich: Bei Acquire handelt es sich um ein Wirtschaftsstrategiespiel, in dem die Spieler Aktien an- und verkaufen und versuchen mit der Gründung von Hotelketten Geld zu verdienen und damit zur Macht zu gelangen. Das Monopoly bereits Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Siegeszug einleitet, scheint bemerkenswert, doch das ein Achtjähriger zur Zeit der Wirtschaftskrise die Grundideen eines durchschlagenden Wirtschaftsspiels entwickelt (und damit Jahrzehnte später zahlreiche Preise abräumt) grenzt an ein Wunder. Vielleicht ist es die Mischung aus Mangel und vermeintlich unerreichbaren Träumen, die derartige Spieleentwicklungen in solch trüben Zeiten hervorbringt?
Als Lothar Schubert in den 1980er Jahren in der Deutschen Bücherei Leipzig saß und Tag für Tag Bücher abschrieb, gab es ebenfalls einen Mangel. Kein Mangel der mit dem der Weltwirtschaftskrise vergleichbar gewesen wäre, jedoch ein Mangel an Spielen und Spieleideen. Wo er nur konnte, versuchte der begeisterte Spieler neue Spielideen aufzuschnappen – was im Übrigen ein große Ähnlichkeit zu Sid Sackson darstellt, der ebenfalls unentwegt neue Spieleideen notierte. Für Schubert boten sich zwei Hauptquellen an: Zum einen Spielekataloge aus dem Westen. Diese konnten freilich nicht einfach importiert werden (was schon Frau Großkopf im Video schilderte), daher bat Schubert Freunde und Kollegen, die den Westen bereisten, Spielekataloge zu fotografieren. Aus den Bildern versuchte sich der fleißige Bastler die Spielidee zu rekonstruieren. Einige der Analogbilder sind noch bis heute vorhanden:
Die andere Quelle die Schubert nutzte um neue Spieleideen zu finden, war die Deutsche Bücherei Leipzig. In ihrem umfassenden Sortiment bot sich auch der Zugang zu Spielebüchern aus Westdeutschland. Dort fand er es, Sacksons berühmtes Buch “A Gamut of Games” oder wie es in der deutschen Fassung heißt: “Spiele anders als andere” – ein Kultbuch auch in der BRD. Darin findet sich eine Auswahl von 40 Spielen (nicht nur von Sackson, sondern auch von Kollegen seiner Zunft, wie Alex Randolph) - Spiele, von denen der Ostbürger nur Träumen konnte. Schubert schrieb händisch ihre Regeln ab und baute die Spiele zuhause nach – so auch “Liegenschaften”, ein Spiel, das, wie der Name schon suggeriert, abermals Geldzuwachs durch Mieteinnahmen zum Thema hat.
"Ich kann nur solche Spiele erfinden, die ich selbst gern spiele. Es muss Interaktion zwischen den Spielern geben, und reichhaltige Entscheidungsmöglichkeiten. Ich habe zwar nichts dagegen, wenn Glück eine wichtige Rolle spielt, es muss aber auf alle Fälle auch ein taktisches Element enthalten sein, sodass man bei jeder Partie etwas über das Spiel hinzulernen kann. Und schließlich darf ein Spiel - von ein paar Ausnahmen abgesehen - nicht länger als 90 Minuten dauern."1 So lautet ein Zitat von Sackson und tatsächlich findet sich in seinem Spiel Liegenschaften genau diese Zusammenstellung wieder: Es ist ein kurzweiliges Spiel mit einer kleinen Glücks-, doch einer nicht zu verachtenden Strategiekomponente. Und mal wieder geht es ums große Geld und den Ruin. “Kann ein Spieler seine Miete nicht mehr bezahlen, überläßt er dem Besitzer der Liegenschaft seine Restvermögen und ist selbst bankrott.”, so heißt es in der von Schubert abgetippten Anleitung.
Das Spiel selbst ist in einer besonders hochwertigen Qualität gefertigt: Patience Karten, DDR Spielchips, Pappe und Samtpapier verleihen dem Spiel eine besonderes Aussehen. Schubert wusste sich also zu helfen und kam fast immer an Bauteile die zur Realisierung seiner Spiele notwendig waren. 1987 schrieb er im Zuge akutem Spielsteine-Mangels sogar an den VEB Berlinplast um neue, rote Spielsteine anzufordern – sozialistisch kostenlos, versteht sich. Die Antwort vom VEB war, dass zwar die roten Steine ausgegangen sind, Schubert dafür jedoch einige blaue und gelbe zugeschickt bekommt.
Schubert hat in seiner Leidenschaft als Spieleentwickler und Spielekopist, etwa fünf Spiele selbst erdacht und mehrere Dutzend weiterentwickelt und kopiert. Noch heute ist Spielen eine große Leidenschaft von ihm. Zu diesem Zeitpunkt war Sackson bereits die Ikone der Spielerszene – er entwickelte mehrere Hundert Spiele, gut 50 davon wurden veröffentlicht, in zahlreichen Sprachen und Auflagen. Er baute eine der größten privaten Spielesammlungen der Welt auf und verfasste sechs Spielebücher. Mit diesen Büchern – ein Verdienst der bisher vergessen wurde – beeinflusste er ebenfalls die sonst so dröge Spielelandschaft des Ostblocks. Er gab Spielern wie Lothar Schubert neues Spiele-Futter und seine Werke wurden im Osten kopiert.
Eine Frage jedoch bleibt unbeantwortet: Warum hatten Menschen wie Sackson – der in der Wirtschaftskrise aufwuchs – oder unsere Spielebastler, die im Sozialismus doch eigentlich keinen Gedanken an eigenen Profit oder wirtschaftlichen Gewinn verschwenden sollten, so viel Interesse und Spaß an Spielen deren Leitgedanken Geld, Ökonomie und Macht gewesen sind? Mit Monopoly, Geld und Börse, dem Börsenspiel, mit dem Millionenspiel und nun auch mit Liegenschaften haben wir zahlreiche Spielekopien in unserer Sammlung die doch auf den ersten Blick nicht in das Gesamtbild des Sozialismus passen.
Habt ihr eine Idee woran das liegen könnte, dass sich diese Spielideen derart großer Beliebtheit erfreuten? Für Gründe aller Art sind wir sehr offen und freuen uns auf Zuschriften auf www.facebook.com/nachgemacht, im Kommentarfeld oder unter ddrkopien [at] googlemail.com
Autor: Martin
1 http://www.franjos.de/Autoren/csautd.htm [Stand: 09.12.12]
Hallo Martin :)
AntwortenLöschenNachdem ich leider in den letzten Wochen nicht so oft gelesen habe, hab ich es heute mal wieder geschafft. Vor allem liegt es an der Frage, die du im letzten Teil formulierst, die mich ein wenig umgetrieben hat...
Zuerst, warum entwickelt Sackson ein solches Spiel trotz der Erfahrung der Weltwirschaftskrise: Ich kann das nicht mit Bestimmtheit sagen, denke allerdings, dass da Sackson selbst die Antwort liefert, wieso die negative Erfahrung und ein kapitalistisches Spiel sich nicht ausschließen: In dem Zitat, dass du weiter oben einbaust, spricht Jackson von der Bedeutung des taktischen Elements und der Interaktion zwischen Spielern. Beides kann er als Spieleerfinder in seinem Spiel sichern, da er feste Regeln schafft. Daher sind m.E. die für alle klar beschriebenen und gleich geltenden Regeln ein wesentlicher Grund und vielleicht auch Unterschied zur Weltwirschftskrise, deren strukturelle Ursachen von Zeitgenossen wohl eher als undduchrschaubar galten und die scheinbar willkürlich Unglück brachte (im Gegensatz zum begrenzten Glücksfaktor bei Sacksons "Liegenschaften") und es eben nicht erlaubte, individuell zu partizipieren und genau den Punkt sehen zu können, wo der Spieler ungünstig in eine Liegenschaft investiert hat, weil er bald darauf verpfänden oder verkaufen musste. Ich denke darin liegt ein Reiz des Wirtschaftsspiels: Entgegen der schwer nachvollziehbaren Handelsströme in der Welt, bleiben sie auf dem Spielfeld transparent, Fehler können erkannt werden und beim nächsten Mal umgangen werden. In der Realität außerhalb des Spiel könnten Fehler die eigenen Lebensumstände und ggf. die der Familie negativ verändern, im Spiel wird neu gemischt.
Für den Sozialismus könnte das ähnlich sein. Allerdings wurde hier ja nicht - soweit ich es bisher verstanden habe - offiziell derartiges gespielt, was die Ideologie unterwandert hätte (Was das für ein Spiel ist, kann nur die Ideologie selbst definieren). Also wurde mehr oder minder geheim, mindestens jedoch im vertraulichen privaten Kreis gespielt. Wäre die Frage für die DDR vielleicht zu beantworten mit der Neugier der Menschen zu beantworten, die sich in zeitlich beschränktem Rahmen auf begrenztem Raum und durch fixierte Regeln an das Wirtschaftssystem des ideologischen Opponenten heran tasten wollten? Ungeachtet dessen würde sich die Frage des Spielens kapitalismusnachahmender Spiele im Gegensatz zur Ideologie stellen, wenn dies von überzeugten Ideologen gern gespielt worden wäre. Ansonsten halte ich immer noch den Widerstandsgedanken, den ich anderorts im Zusammenhang mit Foucault bereits erwähnt habe, für sehr passend - denn auch nur in diesem Zusammenhang scheint mir die Verwendung des "Macht"-Begriffs in dem Beitrag verständlich, als die Möglichkeit des (Gegen-)Einfluss auf ökonomisches oder politisches "Spiel".
Viele Grüße aus Budapest,
Patrick
Lieber Patrick,
AntwortenLöschenwie ich schon mehrfach betont habe, ist es immer wieder eine wahre Freude einen deine Kommentare zu lesen.
Tatsächlich gefällt auch mir der Gedanke sehr gut, dass es in der Natur des Spiels liegt, Ordnung und Regelhaftigkeit in Abläufe zu bringen. In chaotischen Zeit bietet es damit gerade jüngeren Menschen (auf der Suche nach Orientierung) eine Verständnishilfe. Damit allerdings ist gerade bei mir die Frage aufgekommen, ob dann nicht auch heute Weltwirtschaftsspiele auf den Markt kommen müssten, die unsere derzeitige Krise greifbar/spielbar/regelbar machen? Ich habe mal "Geopolitical Simulatior" gespielt, der aber an der Komplexität weltpolitischer Zusammenhänge scheitern musste.
Zum Sozialismus - mir wurden kürzlich DDR-Pädagogik Bücher übermacht. Auffällig an der Auswahl (die vermutlich auch ein Stück weit einen repräsentativen Querschnitt abliefert) war, dass sich der Spielgedanke 1. allem voran auf Vorschulkinder und kleine Schulkinder bezog und 2. nur dann legitimiert wurde, wenn das Spielen einen (pädagogischen) Sinn hatte und (buchstäblich) das Kind zum "guten Sozialisten" erzieht. Alles was in die Richtung freies Spiel ging, war eher verpönt.
Nun ja, das erstmal als Fragment -
Vielen Dank nochmals für deinen Kommentar und bis auf weiteres erstmal eine angenehme Adventszeit.
Viele Grüße
Martin