DAS BOHNENSPIEL
Ein Klappern dringt aus der fein gearbeiteten Holzkiste, als ich sie achtsam anhebe. Vorsichtig öffne ich den winzigen Messinghaken und klappe die Seiten der Kiste auseinander. Neben silberglänzenden Schalen lachen sie mich vom grünen Samtboden aus förmlich an: Glänzende, rotbraune Bohnen. Es könnte sich um ein Heiligtum aus einem Märchen handeln, doch ist in Wahrheit ein handgefertigtes Spiel des Spielebastlers und Zauberers Wolfgang Großkopf.
Der Gedanke an Märchen liegt beim Anblick dieses Spiels nicht weit. Nicht allein da das Spiel in der gewohnt einzigartigen Qualität des Bastelmeisters Wolfgang Großkopf gefertigt ist, sondern auch aufgrund der zauberischen Bohnen. In ihrem Startfeld liegen sie auf grünen Samt und springen im Laufe der Partie durch die silbernen Mulden, die Großkopf (schon wie beim Spiel Poch) in das Brett langlebig einhämmerte. Die Bohnen selbst gleiten geschmeidig durch die Hand – eine Eigenschaft die wichtig ist für das elegante Einsammeln und Verteilen der Steine, was als Spieltradition den sogenannten Mancala-Spielen anhaftet.
Mancala-Spiele gehen auf eine lange und mysteriöse Tradition zurück. Ein Mancala-Spiele oder auch “Mancalas” zeichnen sich dadurch aus, “dass sie erst, wenn Spielsteine geschlagen wurden, zwischen denen des einen und des anderen Spielers unterscheiden, während ansonsten nur ihre Position bestimmt, welcher der beiden Spieler welche Steine bewegen darf.”1 Aus ludologischer Sicht bieten sogenannte “Anti-Mancalas” das Gegenstück, wie zum Beispiel Schach, Go oder Dame, die auf ein egalitär nutzbares Spielbrett zugreifen, aber unterschiedliche Steine (i.d.R. schwarz vs. weiß) verfügbar sind. In der Regel werden Mancala-Spiele zu zweit gespielt und sind Strategiespiele im besten Sinne, das heißt, dass kein Zufallselement vorherrscht und Überlegung und Berechnung über Sieg und Niederlage entscheidet. Aus diesem Grund werden sie bisweilen auch zu den mathematischen Spielen gezählt.
Aus ethnologischer Sicht gibt das Spiel jedoch Rätsel auf, wie auch Jean Retschitzki in seinem Text “Bohnen, Kauris und Spielbretter” verrät. Er weißt darauf hin, dass das Spiel zwar inzwischen überall auf der Welt gespielt wird, aber Entstehungsraum und –zeit nicht präzise zu bestimmen sind. Anzunehmen ist allerdings, dass das Spielprinzip inzwischen mehrere Jahrtausende alt ist und aus Afrika stammt – es gibt Quellen, die vom ältesten Brettspiel überhaupt sprechen, wobei hierfür, so Retschitzki, handfeste Beweise fehlen. Eine andere Theorie geht davon aus, dass es sich beim Mancala Prinzip um ein Rechensystem (Einnahmen / Ausgaben oder Geld / Ware) handelt, dass von den Sumerern erfunden wurde.
Gespielt wurde das ursprüngliche Spiel mit Alltagsfundstücken wie Körner, Kieselsteinen oder Muschel. Als Spielbrett genügten allein Einbuchtungen in der Erde. Dies erklärt auch warum archäologische Funde als datierbare Zeugnisse nahezu völlig fehlen. Der erste sichere Fund wird im 4. Jahrhundert n. Chr. datiert und stammt aus dem spätrömischen Militärlager von Abu Sha`ar unweit des Roten Meeres in Ägypten.2
Doch mindestens ebenso spannend wie die Frage nach den Ursprüngen des Spiels, sind die Legenden die sich um das Spiel ranken. So ist das Spiel in vielen Kulturen (etwa Elfenbeinküste) ein Spiel für Männer. Ein gemeinsames Spiel zwischen Mann und Frau war kaum denkbar, da die Gefahr eines unwiderruflichen Gesichtsverlusts des Mannes, bei einer Niederlage gegen die Frau zu groß gewesen wäre. Retschitzki berichtet ebenso von einem Volk (Region Jacqueville) bei dem es unter Androhung der Todesstrafe (!) untersagt ist, nach Einbruch der Dunkelheit zu spielen, da dieses Privileg ausschließlich den Göttern vorbehalten ist. Stirbt hingegen der Stammeshäuptling, wurde die Nacht hindurch gespielt – der erfolgreichste Spieler wird zum neuen Häuptling erklärt.3
Die ersten Mancala-Spiele wurden im deutschsprachigen Raum erstmals um 1700 erwähnt. Die Variante des Bohnenspiels, wie es auch von Wolfgang Großkopf gebastelt wurde, fand Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals Erwähnung und wurde durch Berichte aus Osteuropa (wiederum nach Vorlagen aus Persien) zugetragen, setzte sich aber durch die Kriegswirren nicht im breiten Maße durch. Bemerkenswert ist es gerade daher, dass später diverse DDR Spielebücher von dem Spiel berichteten – vermutlich dienten diese Bücher auch Großkopf als Bastelvorlage. Doch was ihn vermutlich noch mehr dazu antrieb das Spiel in seinem Stil herzustellen, waren die industriell gefertigten Spiele aus Werk 5 des VEB Plasticart in Annaberg-Buchholz und aus dem VEB Plastikspielwaren Berlin. Diese produzierten nämlich ab 1980er das Bohnenspiel unter dem Titel Sabo oder Badari.
Groß war die Freude für die Kinder der DDR sicherlich, ein solches Spiel unter dem Weihnachtsbaum zu finden – wenn es auch, ganz aus Plaste gefertigt - wenig märchenhaft daherkam und die Bohnen eher wie kleine Plastepastillen aussehen. Nun steht wieder Weihnachten vor der Tür und möglicherweise wird der ein oder andere gar mit einem Spiel, vielleicht sogar mit einem selbstgemachten, beschenkt. Oder man vergnügt sich mit einem fantastischen Märchen wie “Hans und die Bohnenranke” oder dem bekannten DEFA-Klassiker der auch dieser Tage im Fernsehen zu sehen ist: “Drei Bohnen für Aschenbrödel”.
In diesem Sinne: Eine gesegnete Weihnachtszeit wünschen Geis und Martin von “Nachgemacht”.
Autor: Martin
1 RETSCHITZKI, Jean, “Bohnen, Kauris und Spielbretter”, in: SCHÄDLER, Ulrich [Hrsg.], “Spiele der Menschheit”, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, S. 43.
2 Vgl. Ebd., S. 43 – 45.
3 Vgl. Ebd.
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