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Die Angst vor den heimlichen Spielern

Nachgemacht - Spielekopien aus der DDR: Die Angst vor den heimlichen Spielern - Kugelspiel

KUGELSPIEL

Wöchentlich wagen wir den Blick von außen auf einen untergegangenen Staat, die DDR. Heute lassen wir mal einen anderen Autoren zu Wort kommen. Synes Ernst, ehemaliges Mitglied der “Jury Spiel des Jahres” schreibt in seiner Kolumne “Der Spieler”  für infosperber.ch über unser Projekt und wagt seinerseits einen Blick auf die DDR und das Nachmachen von Gesellschaftsspielen.

 
Die Fotos dieses Artikels zeigen das Kugelspiel von Elisabeth Hans, welches wahrscheinlich ähnliche wie Steckerle funktionierte. Jeder Spieler erhielte demnach eine bestimmte Anzahl Kugeln und würfelt. Die Augenzahl bestimmt, wohin er eine seiner Kugel legen darf. Bei einer gewürfelten Zwei verschwindet die Kugel durch ein Loch in das Innere des Spielkastens. Wer als erstes seine Kugeln los hat gewinnt, oder je nach Regel, verliert das Spiel. Wer genauere Informationen zum Spiel und seinen Regeln hat, kann diese gern als Kommentar hinterlassen. An dieser Stelle geben wir Synes Ernst das Wort. Weitere Artikel von ihm sind hier nachzulesen: 


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Der Spieler: Die Angst vor den heimlichen Spielern


Von Synes Ernst. Das Buch «Nachgemacht - Spielekopien aus der DDR» erzählt ein wichtiges Stück Alltags- und Spielgeschichte aus dem SED-Staat.

Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle [infosperber.ch Anm. d. Red.] über den Kampf der Spieleautorinnen und Spieleautoren um die Anerkennung als Urheber geschrieben. Und heute schreibe ich über ein Buch, das sich ausschliesslich um die Verletzung von Urheberrechten dreht. Mehr noch: Ich empfehle das Buch «Nachgemacht - Spielekopien aus der DDR» sogar zur Lektüre. Ein Widerspruch?

Überhaupt nicht. Denn es blieb jenen, die in der ehemaligen DDR etwas Anderes als Mensch ärgere Dich nicht spielen wollten, nichts anderes übrig, als die grossen Vorbilder aus dem Westen zu kopieren. Obwohl Thüringen in der Geschichte der Spielzeugentwicklung während Jahrhunderten europaweit eine führende Rolle innegehabt hatte, war der Bauern- und Arbeiterstaat bis zu seinem Ende eine Spiele-Wüste. Spiele waren, wie andere Konsumgüter auch, Mangelware. Das Material war knapp, die Qualität der Produkte mässig, das Design so, dass keine Freude aufkommen konnte. Die wenigen Verlage, die es gab, produzierten planwirtschaftsgemäss vor allem Kinderspiele, und wenn es Spiele für Familien waren, handelte es sich praktisch nur um Neuauflagen von Klassikern. Lauf- und Quizspiele dominierten das magere Sortiment. 

Reaktion auf Mangelsituation

Dieser Befund erstaunt nicht: Die Staatsideologie der DDR war auf totale Kontrolle ihrer Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet. Individuelle Freizeitvergnügen, wie etwa der Zeitvertreib mit Gesellschaftsspielen, hatten darin im Unterschied zu Massenveranstaltungen, die meist von parastaatlichen Institutionen organisiert wurden, kaum Platz. Spielende tauchen in eigene Welten mit eigenen Regeln ein - solche «Fluchten» aus dem Alltag mussten den Behörden grundsätzlich suspekt sein. (Der Gerechtigkeit halber muss erwähnt werden, dass das Erwachsenenspiel auch hier zu Lande bis in die 1980er Jahre gesellschaftlich nicht anerkannt war.)

Der Staat reagierte, wie zu erwarten war: Er verbot den Import von Spielen aus dem Westen. Und die spielbegeisterten Bürgerinnen und Bürger reagierten darauf, wie sie schon auf andere Mangelsituationen regierten hatten: Sie kopierten die Spiele, die einzelne von ihnen von Besuchern aus dem Westen bekommen hatten. Mit Kleister, Pappe, Papier, Holz und Plastilin [Suralin, Anm. d. Red.] bauten sie die Vorlagen nach, die man ihnen vorenthielt. Das Buch «Nachgemacht - Spielekopien aus der DDR» berichtet davon. Es dokumentiert mit hervorragenden Fotos die liebevoll gestalteten Werke, deren Subversivität darin bestand, dass man mit ihnen ein staatliches Verbot umgehen und dabei erst noch Spass haben konnte.

Vor Cluedo, Malefiz, Hase und Igel und Siedler von Catan war Monopoly der am meisten kopierte Klassiker aus dem Westen. Kapitalismus am Wohnzimmertisch - das faszinierte die DDR-Spielefamilie. Vielleicht auch gerade deshalb, weil das Spiel um Macht, Mieten und Moneten den kommunistischen und sozialistischen Ideologiehütern ein besonderer Dorn im Auge war. Buchautor Martin Thiele berichtet, dass der Pfarrer, bei dem seine Mutter in die Christenlehre ging, die Kinder Monopoly spielen liess. Anschliessend durften sie es «reihenweise» kopieren und nach Hause nehmen. Um nicht erwischt zu werden, musste man die Spiele verstecken. Einige legten es in die Verpackung eines harmloseren Spiels. Noch kreativer war ein ehemaliger Soldat der Nationalen Volksarmee: Er zeichnete den Monopoly-Spielplan auf die Rückseite eines Bildes. Abends lag das Spiel auf dem Tisch, tagsüber hing das Kunstwerk mit der unverdächtigen Seite nach vorne an der Wand.

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Die Stasi und der Weg zur Macht

Ein besonderes Spiel war Bürokratopoly von Martin Böttger. Der Autor, Physiker und Mitbegründer der Initiative Frieden und Menschenrechte sowie Gründungsmitglied des Neuen Forums, beschreibt in «Nachgemacht», wie er mit diesem Spiel das Streben nach gesellschaftlichen Aufstieg und Macht thematisierte, das seiner Meinung nach das System der zentralistischen Funktionärsbürokratie zusammenhielt. Böttger arbeitete sehr lange am Spiel, weil er die Mechanismen der Macht mit dem Generalsekretär der kommunistischen Einheitspartei SED im Mittelpunkt detailliert darstellen wollte. 1984 war es so weit, Böttger stellte das Spiel einer grösseren Gruppen von Oppositionellen vor: «Nachdem ich lang und breit die Spielanleitung erläutert hatte, blieb nur noch bei einem Teilnehmer eine letzte Frage: Wie viele Jahre gibt es denn für die Teilnahme an diesem Spiel?» Bei der Lektüre seiner Stasi-Akten im Jahr 2005 stellte Böttger dann fest, dass die Stasi Kenntnis hatte von Bürokratopoly. Das Gesellschaftsspiel «mit negativ-feindlichem Charakter» sei am 19. Dezember 1984 in der Wohnung von Bärbel Bohley «einem grösseren Personenkreis» vorgestellt worden. Der Stasi-Offizier, der ein Exemplar von einem Spitzel erhalten hatte, schrieb in seinem Bericht weiter, dass es sich bei Bürokratopoly um ein Würfelspiel handle, «welches auf ironische Weise angebliche Wege zur Erlangung und zum Verlust politischer Macht in der DDR aufzeigt und auf diese Art die gesellschaftlichen Verhältnisse verächtlich macht». Dafür sah das Strafgesetzbuch der DDR eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Doch Martin Böttger blieb unbehelligt, offenbar, weil die DDR-Behörden Angst vor dem öffentlichen Aufsehen hatten, das eine Verhaftung des prominenten Oppositionellen verursacht hätte. 

Für die beiden Autoren Michael Geithner und Martin Thiele erzählen die nachgemachten Spiele «auf ungewöhnliche Weise vom Alltag der DDR». Im Spielekopieren sehen sie keinen systemkritischen oder gar systemfeindlichen Akt, auch wenn einzelne Spiele aus dieser Absicht heraus entstanden sind. Nur: Das Besondere an Spielen ist, dass man über sie in eine zweite Realität eintaucht, die eigene Gesetzmässigkeiten kennt. Freie Gesellschaften haben kein Problem damit. Geschlossene Systeme, wie die DDR eines war, leben hingegen in permanenter Sorge: Denn Bürgerinnen und Bürger könnten ja eines Tages Lust darauf bekommen, die Freiheit, die sie im Spiel erleben, auch im Alltag auszuprobieren.


Synes Ernst ist Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»

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