MEMORY
Um herauszufinden, was die Motive auf diesem kopierten Memory-Spiel sind, muss ich meine Eltern fragen. Ich selbst bin zu jung um mich noch an alle DDR Produkte erinnern zu können. Geboren wurde ich in der DDR, doch wie über anderthalb Millionen Ostdeutsche (seit 1990) habe auch ich meinen Heimatort und den Osten in Richtung Westen verlassen. Bis heute ist in mir das Bewusstsein meiner Herkunft verankert. Mit der “3ten Generation Ost” hat sich eine Initiative gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kinder der Vorwendezeit zu vernetzen und deren einzigartige Biografien öffentlich zu reflektieren.
Das Ravensburger Spiel, mit dem gesicherten Titel Memory, wurde in den DDR Haushalten häufig kopiert. Nicht allein weil es ein gutes Spiel ist, dass für seinen pädagogischen Wert berüchtigt ist, sondern sicherlich auch, da es recht simpel zu kopieren ist. Neben dem Schneiden gerader Kanten war die Auswahl hübscher Motive die größte Herausforderung dabei. Nicht verwunderlich ist es somit auch, dass Verpackungen aus dem Westen, die über Westpakete eingeführt wurden, prächtige Vorlagen boten um ein Memory daraus zu gestalten. Dieses Memory von Felicitas, dass sie einst dem Deutschen SPIELEmuseum Chemnitz stiftete, wurde hingegen aus Ostverpackungen gestaltet – weniger glänzend, weniger bunt, doch sicherlich ebenso einprägsam beim Spielen.
Kurz und bündig antwortete mir meine Mutter per Mail, als ich sie nach den Motiven fragen. Kristall sei eine Kühlschrankmarke, Kasko die Versicherung, “Aufmerksam und rücksichtsvoll” ein Verkehrslogo und die Geldangabe in M gab es sowieso nicht im Westen, da hieß es DM – natürlich. Und einmal mehr haben mir die Spielekopien mit denen wir uns seit Mai 2011 beschäftigen dabei geholfen ein Stück (wenn auch ein kleines Stück) DDR Alltagsgeschichte aufzudecken und mit meinen Eltern über das Leben in der DDR in Kontakt zu treten. War die eigene DDR Vergangenheit doch lange Zeit völlig in Vergessenheit geraten, die Reflexion darüber fast peinlich und das Gespräch mit den Eltern über das Leben vor und nach der Wende doch nahezu verstummt. Diese Gefühle und Erkenntnisse, die mit meinem Leben als Kind der Vorwendezeit und damit als Kind des Umbruchs zu tun haben, kann ich erst seit Kurzem präziser benennen. Als ich vor über einem Jahr Johannes Staemmlers Text “Wir, die stumme Generation” in der ZEIT gelesen habe, wurde es mir bewusst: Die offenen Fragen, die hinsichtlich meiner eigenen Biografie beständig anklopfen, sind nicht allein persönliche, sondern es sind Fragen die eine ganze Generation betreffen.
„An Bau und Fall der Mauer wird routiniert erinnert. Es ist ein Diskurs entstanden, der vom Unrechtsstaat der DDR über die unglaubliche, friedliche Revolution bis zur Einheit reicht. Diese kollektive Erzählung schließt aber etwas Entscheidendes aus: die letzte, dritte Generation Ostdeutschlands, die dazu einen eigenen Beitrag leisten kann. Die DDR ist nicht nur eine Erinnerung unserer Eltern, sie wirkt bis heute auch auf uns ein. Das kurze Dasein der Mauer in der Weltgeschichte ist beendet, und für junge Menschen scheint es keine Rolle mehr zu spielen. Wir, die jungen Ostdeutschen, waren vielleicht acht, zehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Den größten Teil unseres Lebens haben wir im wiedervereinigten Deutschland mit all seinen Freiheiten gelebt. Wir sind angekommen, wir haben die alten Ost-West-Gräben hinter uns gelassen, glaubten wir beinahe selbst.“1
Vor kurzem ist das Buch die Dritten Generation Ost beim Christoph-Links-Verlag erschienen. Darin geben über 30 Autorinnen und Autoren der Dritten Generation eine Stimme und berichten in höchst individueller Form von ihrer Geschichte und ihren Lebenserfahrungen. Dementsprechend sind die einzelnen Beiträge auch überaus heterogen: Robert Ide beschreibt mit viel Wortwitz die Kluft die nicht allein zwischen Räumen sondern auch zwischen Generationen verläuft. („Leerstellen sind nicht allein zwischen Ost und West gerissen worden. Das ist ein beharrliches Missverständnis der Vereinigung. Sie klaffen auch zwischen Ost und Ost, ‘zwischen Herkunft und Ankunft’…”2) Wie auch der oben erwähnte Text von Johannes Staemmler, beschreibt der Beitrag “Heim@ gestalten” von Michael Hacker sehr treffend eine gewisse Zerrissenheit zwischen dem Leben aus dem wir kommen und dem Leben, das wir gegenwärtig führen. Doch mit am stärksten, wirkte auf mich der Text von Anne Schreiter, die die vermeintlich simple Frage aufwirft “Bin ich ostdeutsch?”. Sie spricht darin Vorwendekindern wie mir aus dem Herzen, die sich an den Geschmack des ersten Pfirsich-Maracuja-Joghurts erinnern können und sich heute fragen, ob “die jungen Menschen in Ost und West die konstruierten Grabenkämpfe ihrer Eltern austragen”3. Als Potpourri diverser Lebenserfahrungen und Eindrücken, erweist sich das Buch der Dritten Generation als das Sprachrohr einer bisher stummen Generation. Eine Generation, bei der jetzt, da sie ihr eigenes, emanzipiertes Leben etabliert haben, eine Rückbesinnung auf Herkunft und Vergangenheit beginnt. Nur was ist der Antrieb dafür? Im Buch ist mehrfach von einer diffusen “Wut” die Rede. Eine Wut der Generation, die nicht adäquat in die kollektive Geschichte eingebunden ist? Eine Wut der Generation die bisher nicht berücksichtigt wurde? Es war eine Bereicherung für mich das Buch der Dritten Generation zu lesen, allem voran, da es ein Buch ist, dass von meiner Generation und damit implizit auch von meinem Leben spricht. Und trotz starker Übereinstimmungen, kann ich die Wut nicht teilen.
Als wir begonnen haben uns durch “Nachgemacht – Spielekopien aus der DDR”, mit der Aufarbeitung der DDR Spielekultur zu befassen, haben wir implizit auch ein Stück von uns selbst entdeckt und neue Dialoge mit den älteren Generationen des Ostens entfacht. Welch große Bereicherung dies für uns bereithielt, konnte ich damals nicht erahnen. Doch müsste ich einen Antrieb dafür benennen, wäre es sicherlich nicht die Wut, sondern vielmehr die Neugier an meiner eigenen Geschichte, der Geschichte meiner Eltern und ihrer Generation und natürlich die Neugier an einem Stück Spielekultur.
Kommendes Wochenende, am 24.11.2012 findet das Generationentreffen der Dritten Generation Ost statt. Die Veranstaltung selbst ist aufgrund der hohen Nachfrage bereits ausgebucht, doch ab 20 Uhr ist die Veranstaltung öffentlich und jeder herzlich willkommen. Auch “Nachgemacht” ist mit von der Partie: Wir haben die Ehre erstmals in Berlin als Rahmenprogramm eine kleine Foto-Ausstellung unserer Spiele zu präsentieren. Neben großformatigen Bildern unserer Spieleunikate zeigen wir ebenso einige unserer Videobeiträge.
Zu sehen sind unsere Bilder am:
Samstag, den 24.11.2012, ab 20Uhr
im Collegium Hungaricum Berlin (CHB), Dorotheenstraße 12, Berlin
Wir würden uns über zahlreiche Besucher freuen. Am Abend steht eine Party an und es gibt sicherlich jede Menge Gesprächsbedarf über unsere Spielebeiträge, die Dritte Generation und das spannende Generationentreffen. Mehr dazu findet ihr direkt bei der Dritten Generation Ost.
Das Memory-Spiel von Felicitas im Übrigen, ist, neben ca. 60 weiteren Exponaten, noch bis zum 27.01.2013 in unserer laufenden Ausstellung in der Johannstadthalle Dresden zu sehen.
Autor: Martin
1 STAEMMLER, Johannes, “Wir, die stumme Generation Ost”, in: “Dritte Generation Ost: Wer wir sind, was wir wollen”, Ch. Links Verlag, Berlin 2012, S. 212.
2 IDE, Robert, “Hüben und drüben”, in: “Dritte Generation Ost: Wer wir sind, was wir wollen”, Ch. Links Verlag, Berlin 2012, S. 123.
3 SCHREITER, Anne, “Bin ich ostdeutsch?”, in: “Dritte Generation Ost: Wer wir sind, was wir wollen”, Ch. Links Verlag, Berlin 2012, S. 80.
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