SPIEL DES LEBENS & MILLIONENSPIEL
Gründe Familie – Mutti, Vati, Tochter und Sohn – baue ein Haus, werde erfolgreicher Geschäftsmann und schaffe dir, neben Luxus- und Gebrauchsgütern (wie Fernseher, Auto und Staubsauger) auch mindestens eine Versicherung für dein Eigenheim an. So sah er aus, der Lebensentwurf der Bundesrepublik von Adenauer und Erhard. “Spiel des Lebens” hieß er auf dem Brett – doch einer unserer findigen Ost-Bastler modifizierte den klischeehaften Klassiker zum spannenden “Lebensradspiel”...
Er klingt doch geradezu kommunistisch, der Titel unter dem der damalige Wirtschaftsminister, späterer Bundeskanzler und (vermeintlicher) „Erfinder des Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard das Buch veröffentlichte: „Wohlstand für alle“. Unter dieser Phrase denken wir heute das kleinbürgerliche Leben, in dem sich die Nachkriegsgeneration Westdeutschlands im Schatten eines wirkungsmächtigen Marshall-Plans einigelte. Bürgerliche Werte, das traute Heim und der ein oder andere Luxusgegenstand, machten das ideale Leben in der BRD aus und prägten mit den durch Medien und Politik vermittelten Lebensentwürfen auch in den folgenden Dekaden das Gesellschaftsbild des Westens.
Klar, dass der Lebensweg, vom Abitur bis zum Ruhestand, auch gut auf ein Spielbrett gebannt werden konnte: 1980 veröffentlichte MB (heute Hasbro) die deutschsprachige Variante vom „Spiel des Lebens“ – der US-Amerikanische Vorläufer kam bereits 1960 auf den Markt. Das Ziel des Spiels ist einfach: Häufe bis zu deinem Lebensende möglichst viel Geld an – also (fast) wie im richtigen Leben. So meinte man jedenfalls im Osten, wo Eigentum, Grundbesitz und Mammon eine weitaus randständigere Rolle gespielt haben.
Nicht Monopoly, sondern das „Spiel des Lebens“ ist es, dass dem Ostbürger mehr als jedes andere Brettspiel erlaubte, die klischeehafte Lebensrealität des Westens nachzuspielen. Wolfgang Großkopf, einer unserer ambitioniertesten Spielebastler, baute das „Spiel des Lebens“ nicht nur nach, sondern modifizierte es sogar. Mit Fug und Recht bezeichnet sich der Hobbycamper und ehemaliger Lehrer als der Erfinder des Rades, denn mit dem Lebensrad (aus Plaste), fügte er das interaktive Moment hinzu, dass dem echten Spieleklassiker sonst fehlt. Mangelnde Interaktivität und ausbleibende Entscheidungsspielräume, die dem MB Spiel häufig vorgeworfen wurden, können Großkopfs Kopie damit nicht mehr nachgesagt werden. Der klassische Lebensentwurf der BRD wurde damit eine völlig neue Komponente beigemischt. Für unsere Videoaufnahmen packte er das Spiel aus:
Haben wir auf der einen Seite mit dem „Lebensradspiel“ ein Abbild des westdeutschen Lebensentwurfes, so findet sich zu alledem auf der Rückseite mit dem „Millionenspiel“ gar ein Abbild des westdeutschen Lebenstraumes: Mit viel Glück und etwas Mut zur Millionen. „Das Millionenspiel“ ist ein Glückspiel bei der alle Spieler auf die richtigen Würfelzahlen spekulieren. Eine einzige Figur wird im Kreis gesetzt – je nachdem welches Feld getroffen wird, gewinnen oder verlieren die Spieler Geld. Wer am geschicktesten spekuliert und wem das Wurfglück hold ist, der ist als erster Millionär und gewinnt das Spiel. Großkopf blieb hier dem Originalspiel treu und bastelte eine Kopie vom Millionenspiel. Vielleicht handelte es sich bei diesem Spiel um das Glück des großen Geldes doch auch schon damals um ein gesamtdeutsches Phänomen – immerhin war Glücksspiel auch in der DDR etabliert (und z.T. gar von Staatsseite legitimiert).
Von beiden Spielen sagt Großkopf heute, er habe sie oft und gerne gespielt. Die kribbelnsten Momente waren die, in denen es sich entschied, ob man Millionär wird oder doch wieder bei null anfangen muss. Die Spiele ermöglichten ihm damit in eine Lage zu schlüpfen, die völlig fern von seinem sonst so geradlinigen Lehrerberuf waren. Wie hätte ein „Spiel des Lebens” gemünzt auf das DDR-Leben ausgesehen, fragten wir ihn. Er hatte darüber noch nie nachgedacht und auch keine prompte Antwort parat, doch vielleicht hatte Großkopf bereits ein Spiel gebaut, dass die ideale Analogie zum „Spiel des Lebens“ aus der BRD darstellte: Das Brettspiel „Karriere“…
Und weil sie so schön sind, hier nochmals das Spielbrett von beiden Seiten: Links das Lebensrad (alias Spiel des Lebens), rechts das Millionenspiel.
Autor: Martin
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