Slideshow

„Sogenanntes Gesellschaftsspiel mit negativ-feindlichem Charakter”

Bürokratopoly_Nachgemacht (8)

 

BÜROKRATOPOLY

Wie politisch konnte ein Gesellschaftsspiel in der DDR sein? Häufig diskutierten wir diese Frage, doch das Spiel, das uns seit kurzem vorliegt, eröffnet völlig neue Antworten. Bürokratopoly ist ein selbst erfundenes Gesellschaftsspiel, dessen Kopie später in der Stasi-Akte des Urhebers auftauchen sollte. Wir veröffentlichen hier einen Teil der Akte der Staatssicherheit.

 

„Erziehung der Kinder zur sozialistischen Persönlichkeit” – das war das Schlagwort, unter dem Spiel in der DDR funktionierte. Zumindest von offizieller Seite wurde Spielen erst dann vollends als legitim anerkannt, wenn es einen pädagogischen Zweck verfolgte. Ein Spiel, das keinen didaktischen Regeln folgt oder gar dem Spieler oder der Spielerin hilft, sich in alternative Realitäten hineinzudenken, war in der DDR nicht vorgesehen. So heißt es im Bezug auf die erzieherische Tätigkeit beispielsweise:

„Wie bei jeder Tätigkeit des Kindes hat auch hier die Erzieherin die führende und richtungsweisende Rolle. […] Ein wesentlicher Minuspunkt in unseren Einrichtungen ist das Spiel, was unter dem Begriff Freispiel läuft. Schon aus dem Vorangegangenen können wir erkennen, daß es dies gar nicht geben kann bei einer verantwortlichen Tätigkeit der Erzieherin und Helferin.“1 

Darüber hinaus war Spielen als solches von offizieller Seite vor allem für Kinder gedacht und nur wenige DDR Texte besprechen die Frage nach dem Nutzen und Vorteil für das Spiel für Erwachsene. Unter diesen beiden Voraussetzungen wundert es nicht, dass Martin Böttgers Spiel “Bürokratopoly” aneckte.

Bürokratopoly_Nachgemacht (7)

Dr. Böttger war Freidensaktivist in der DDR und bei den Behörden bekannt. Selbst bezeichnet er sich als Homo Ludens, als Mensch dessen Fähigkeiten durch Spiel geprägt sind und dessen Leben durch Spielen und Subversivität bestimmt war. Mit einer Malefiz-Kopie und einem selbstgemachten Scrabble steuerte Böttger unserer Sammlung bereits zwei Spiele bei. Beide sind noch bis Ende August im Deutschen SPIELEmuseum Chemnitz zu sehen. Nach der Wende leitete Böttger die BStU2 Außenstelle in Chemnitz und beschäftigte sich demnach mit der Aufarbeitung der Akten der DDR-Staatssicherheit. Dass er eine exakte Fotokopie seines Spiels Bürokratopoly in seinen eigenen Akten finden sollte, überraschte ihn dann doch. Das Spiel ist eine Mischung aus Risiko und Monopoly, sagt Böttger. Nur dass es sich hierbei nicht um das Ansammeln von Geld oder Gebiet, sondern um das Erlangen von größter Macht im DDR-Staat dreht. Ziel ist es – ganz wie Erich Honecker es vorlebte – vom einfachen Arbeiter zum mächtigsten Mann im Staat, dem Generalsekretär der SED aufzusteigen. Glück, Lug und Betrug sind dabei ausschlaggebende Mittel.

Bürokratopoly_Nachgemacht (5)Bürokratopoly_Nachgemacht (6)Bürokratopoly_Nachgemacht (4)

Das Spiel arbeitet also in ironischer Art und Weise das Machtstreben in der DDR auf. Doch ganz wie der berüchtigte Honecker-Witz, der dem einfachen Bürger Probleme bereiten konnte, rief auch dieses Spiel und sein Bekanntwerden die Aufmerksamkeit und den Unmut der Staatssicherheit auf den Plan. Zwar wurde Böttger zu DDR-Zeiten nie darauf angesprochen, trotzdem wurde ein erklärender Aktenbeitrag zum Spiel und – was noch viel bemerkenswerter ist – eine exakte Fotokopie des kompletten Spiels, in seine Stasi-Akte aufgenommen, samt allen einzelnen Ereigniskarten. Wer das Spiel der Stasi zuspielte, ist bis heute nicht bekannt. Denn Bürokratopoly wurde mehrfach unter Freunden Böttgers reproduziert und erreichte so eine Verbreitung durch weite Teile der Ost-Republik. Was uns Martin Böttger mitteilte, können Sie hier anhören:

Bürokratopoly_Nachgemacht (2)Bürokratopoly_Nachgemacht (3)Bürokratopoly_Nachgemacht (1)

Wie zu allen Zeiten in allen Kulturen, vermag es das Spiel – in seiner Erscheinung, seiner Ausrichtung, seinem Aussehen und seiner sozialen Praktik der Nutzung – ein Abbild der Gesellschaft darzustellen. Dass ein Spiel hinter verschlossenen Türen gebastelt wird und über unbekannte Wege Einzug in Geheimdienst-Akten erhält, sagt zweifelsfrei auch einiges über die Haltung der DDR zu seinen Bürgern und den Gedanken des freiheitlichen Spiels aus. Doch die Bürger wurden aktiv und nahmen sich ihre Freiheit im Kleinen wie im Großen.

Die Spiele-Geschichte von Bürokratopoly war mit der Aufnahme in die Stasi-Akten jedoch längst nicht zu Ende. Kürzlich besuchte ein älterer Spielebastler unsere Ausstellung in Chemnitz, sah Bürokratopoly in der Vitrine stehen und erkannte endlich das Spiel, nach dessen Vorlage er in der DDR eine Reproduktion anfertigte – Urheber bisher unbekannt. Durch Studentenkreise wurde ihm die Bürokratopoly Papierrolle zugespielt, aus der er später das Spiel “Karriere” aus Holz und Plastik anfertigte. Das von Böttger selbsterdachte Spiel zog weite Kreise durch die ganze DDR. Das „sogenannte Gesellschaftsspiel mit negativ-feindlichem Charakter” erfreute sich also höchster Beliebtheit bei den Bürgern. Wie oft es noch reproduziert wurde, können wir nur ahnen – mit der  Reproduktion „Karriere” allerdings, haben wir schon jetzt eine besonders beachtliche Kopie finden können…

Mit dem Auszug aus Böttgers Stasi-Akten, veröffentlichen wir erstmals ein brandheißes Dokument der Zeitgeschichte. Genaues Hinschauen lohnt sich in jedem Fall…

 

 

Autor: Martin

1 Dokumente des Rates der Stadt Karl-Marx-Stadt über die Berichterstattung und Pläne der Vorschulerziehung, gefunden im Stadtarchiv Chemnitz, o.J., zit. n. FRITSCHE, „Zur Soziologie des Spiels“, S. 104.
2 Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen


Artikel die Sie auch interessieren könnten: