SCRABBLE
Spielen war in der DDR ein häusliches Phänomen. Vor allem innerhalb der Familien wurden die Spielbretter auf den Tisch gelegt. Doch unter welchen Umständen lebten diejenigen, die nicht in einer Familie aufwuchsen?
Kürzlich waren wir im Martin-Luther-King-Zentrum in Werdau zum Symposium “Spiel & Politik” zu Gast. Neben den ausgesprochen interessanten Vorträgen, empfand ich eine Tatsache besonders bemerkenswert: Es war ein generationenübergreifendes Treffen und sowohl die Kinder als auch Enkelkinder des Homo Ludens Dr. Martin Böttger waren mit vor Ort. Spielen war für ihn ein Familienereignis. Das selbstgemachte Spiel Bürokratopoly wurde zwar nicht mit den Kindern gespielt – die Gefahr, dass sie in der Schule darüber sprechen könnten, war zu hoch – doch die Böttgers bauten auch Familienspiele nach. Gerade der Nachbau von Malefiz wurden im Familienkreis gemeinsam mit den Kindern gespielt. Genau wie dieses Scrabble Spiel, dessen Spielfeld auf der Rückseite eines Jahreskalenders aus den 80ern gezeichnet wurde.
Bis heute hält sich dieser Spieleklassiker auf dem Markt und es scheint unbestritten, dass die Wörtersuche Konzentration und Aufmerksam von Groß und Klein fördert. Also ein ideales Spiel für Kinder. Schließlich heißt es nicht umsonst, spätestens seit dem 18. Jahrhundert (dem “pädagogischen Jahrhundert”), dass Spielen das Kind bildet und zur Formung des Charakters beiträgt. Und so spielten auch wir als Kinder die Spiele der DDR sowie die Spiele, die unsere Eltern nachbastelten. Doch nicht alle Kinder der DDR konnten eine derart harmonische Jugend erleben:
Ehemalige DDR-Heimkinder werden, nach einem aktuellen Beschluss des Bundeskabinetts, mit einem Hilfsfond für ihr erlittenes Unrecht in DDR Erziehungsanstalten entschädigt. Ein Fond in Höhe von 40 Millionen Euro wird zum 1. Juli 2012 eingerichtet und jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern getragen. Der Beschluss wurde gefasst, da sich Berichte der Betroffenen häuften, deren Aufenthalt im Heim oder einem Jugendwerkhof bis heute schädigende Nachwirkungen hinterlassen hat. Diese sind, neben einer gesellschaftlichen Stigmatisierung seit der Kindheit und schlechteren Berufschancen, vor allem psychische Traumata, mit denen die Betroffenen bis heute leben müssen. Aus dem Fond sollen vor allem therapeutische Aufarbeitung und Rehabilitationsmaßnahmen gezahlt, sowie ein einmaliger finanzieller Ausgleich, aufgrund verminderter Rentenansprüche, ausgeschüttet werden. Noch bis zum 30. Juni 2016 können Anträge auf eine Zahlung aus dem entsprechenden Fond gestellt werden.
Nach der Darstellung von Experten, so heißt es in den Berichten der großen Nachrichtenagenturen, deren Artikel in allen deutschen Leitmedien zu finden sind, gehörten Gewalt und Zwang zum Alltag der DDR Heimkinder. “Betroffene berichten von Zwangsduschen, Strafhungern, Schlägen und sexuellem Missbrauch.”1 Mit diesen Methoden sollte angeblich, die Umerziehung zu sogenannten sozialistischen Persönlichkeiten gelingen.
Doch die Beurteilung dieser Sachverhalte fällt uns aus der heutigen, retrospektiven Sicht schwer. Auf einigen privaten und ausgewiesermaßen ostalgischen Seiten, berichten ehemalige Heimkinder zum Beispiel von deutlich positiveren Erfahrungen aus DDR Heimen, wo selbst politischer Drill nicht an der Tagesordnung stand – ”Die Kinderheime waren keine Straflager für Schüler” heißt es auf www.aus-der-ddr.de. Damit regt sich unweigerlich die Frage, was die Regel war und was die tragische Ausnahmen, die es zweifellos auch in anderen politischen Systemen damals wie heute zu finden gab und gibt. (Schon Anfang des Jahres wurde ein vergleichbarer Hilfefond für ehemalige Heimkinder der BRD beschlossen.)
Um für uns – die Kinder der DDR – den Staat, seine Ungerechtigkeiten und schönen Seiten umfassend begreifen zu können, sind wir stets auf die Berichte der Zeitzeugen angewiesen. Das mdr hat in der Fernsehdokumentation “Schlimmer als Knast” einige Betroffene zu Wort kommen lassen. Ob deren erschreckendes Schicksal tatsächlich die Regel des Lebens in Heimen und Jugendwerkhöfen rekonstruiert, kann ich nicht sagen. Doch wie es auch sei, es schmälert nicht die Verwerflichkeit jener Misshandlungen und die Rechtfertigung des Hilfsfonds.
Autor: Martin
1 http://taz.de/Bundesregierung-beteiligt-sich/!95264/
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