MEMORY
In unserer Erinnerung sind die Westpakete nur noch verschwommen zu finden. Wir wissen aber, dass viele Spieloriginale über sie in die DDR kamen. Das Memory von Rotraud kam auch im Westpaket, wie jedes beschriftet mit “Geschenksendung, keine Handelsware”. Geneuer gesagt, war das Westpaket das Spiel selbst.
Rotrauds Memory wurde aus den Verpackungen gebastelt, die ein einem Westpaket in ihre Familie kamen. Heute sind Marken, wie UHU, Wrigley's oder After Eight, keine Besonderheit, in der DDR konnte man diese jedoch nicht einfach so kaufen. Vermutlich unterschied sich selbst die Verpackung der Produkte in ihrer Qualität zu den Ostartikeln. Rotraud war die Verpackung zum wegschmeißen zu schade, aber den „Müll“ einfach so aufheben, das wollte sie dann doch nicht. Und so verewigte sie die seltenen Seifen-, Parfüm-, und Schokoladenverpackungen in jenem Memoryspiel, welches NACHGEMACHT hier auf dem Blog und im Deutschen SPIELEmuseum ausstellt.
Etwa 25 Millionen Westpakete wurden jährlich von Westdeutschland in den Osten geschickt.* Der Inhalt war hauptsächlich Schokolade, wie auch die Verpackungen in unserem Memory zeigen. Daneben waren häufig Kosmetikartikel, Kleidung und Lebensmittel Inhalt der Postsendungen aus dem “Ausland”. Der Westbürger wurde ermutigt, den Osten zu unterstützen, indem ihm Steuererleichterungen zuteil wurden und er bis zu 40 DM pro Paket absetzen konnte. Allerdings durfte er nicht einfach versenden, was er wollte, beziehungsweise, der Ostbürger nicht alles empfangen. Es gab strenge Auflagen über die Menge der erhaltenen Pakete und natürlich über deren Inhalt. So durften beispielsweise keine Zahlungsmittel oder Literatur mit antidemokratischem Charakter versendet werden – Und was war mit Spielen?
Johannes, dessen Sagaland wir als eines unserer ersten Spiele in der Sammlung vorstellen durften, erzählte uns bei der Eröffnung der Ausstellung, dass er sein Monopoly über ein Westpaket erhalten hatte. Das jedoch war für seine Verwandten in Westdeutschland ein schwieriges Unterfangen, denn es erreichte Johannes erst beim vierten Versuch, da es zuvor immer wieder durch Zoll, oder dem Ministerium für Staatssicherheit abgefangen wurde. Da sie das Paket wohlweislich versichert hatten, kam es allerdings wieder zum Absender zurück und wurde nicht entschädigungslos eingezogen. Man versah es mit einem neuen Absender und schickte es erneut, bis es Johannes schließlich doch noch erreichte.
Die Stasi durchleuchtete jedes Westpaket. Bei Auffälligkeiten wurde es ausgepackt, mit der beiliegenden Inhaltsliste, die Pflicht für den Versand war, abgeglichen, verbotene Artikel entfernt, oder gleich das ganze Paket einbehalten. Das Auspacken der Pakete erfolgte dabei mit allergrößter Vorsicht, um keine Spuren zu hinterlassen. Man photographierte den Inhalt, um ihn nach der Durchsuchung wieder identisch an seinen Platz legen zu können. Es ist Ironie, dass die Ostbürger, erreichte sie schließlich ihr Westpaket, mit ebensolchem Fingerspitzengefühl vorgingen. Das geschah jedoch, weil nicht nur der Inhalt, sondern eben auch die Verpackung etwas Seltenes und Besonderes für sie waren. Ein Spiel unserer Sammlung zeigt diese Wertschätzung: Rotrauds Memory, welches noch bis zum 31. Juli im Deutschen SPIELEmuseum in Chemnitz bestaunt werden kann.
Autor: Geis
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