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“Ständige Ausreise” aus der DDR

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Elfer Raus

Die Ausreise aus der DDR war für die Bürger nahezu unmöglich. Nur mit großem bürokratischen und emotionalen Aufwand konnten sie einen Antrag stellen und mussten danach mit politischen Konsequenzen rechnen. Trotzdem versuchten einige DDR Bürger sich ein Stück Freiheit und Privatheit zu erkämpfen – sei es mit Urlaub, dem Versuch der Ausreise oder nur mit selbstgemachten Spielen wie Elfer Raus.

 
Andreas war Pfarrer in der DDR. Durch seine westdeutsche Partnergemeinde wurde ihm die Möglichkeit zuteil die DDR für einige Wochen zu verlassen. Er wusste, dass es sich dabei um eine seltene Gelegenheit handelte, da normalerweise nur die sogenannten Reisekader dieses Privileg hatten. Doch die Chance zu nutzen und “Drüben” zu bleiben, kam für ihn nicht in Frage. Das Interview mit Andreas, der neben Elfer Raus noch weitere selbstgebastelte Spiele wie Domingo und das Börsenspiel zu unserer Sammlung beisteuerte, findet sich hier.
 
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Reisefreiheit – das war die Forderung die in den späten Jahren der DDR immer lauter und letztlich unüberhörbar wurde. Doch darf diese Art der Reise die Andreas unternehmen konnte, nicht mit der Ausreise verwechselt werden. Unter Ausreise oder “ständiger Ausreise” verstand sich das dauerhafte Verlassen der DDR, quasi das Auswandern. Diese Option war im Gesetz der DDR nicht vorgesehen und war damit oft gleichbedeutend mit dem Gesuch um die Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft gemäß § 10 DDR-Staatsbürgergesetz. Dabei beriefen sich die Ausreisewilligen bei der Antragstellung auf ihr Recht auf Freizügigkeit aus der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 und/oder auf Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO vom 10. Dezember 1948:

  1. „Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.“
  2. “Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“
Flucht – betrachtet man sie als den impulsiven, dramatischen und lebensgefährlichen Weg, auf die andere Seite der Mauer zu gelangen, so kann man den Antrag als klares Statement und als offenen Protest betrachten. Aktivistengruppen organisierten sich und bekundeten offen ihren Ausreisewillen. Doch der Staat samt MfS ging dagegen vor. Strafverfahren, Zersetzungsmaßnahmen und teilweise Haftstrafen wurden durchgesetzt. Dies erklärt auch die relativ hohe Zahl der Ausreiseanträge die wieder zurückgezogen worden sind – knapp 93.000 von 316.000 Erstanträgen auf Ausreise (zw. 1977-1989). Sie erhofften sich durch den Rückzug des Antrags auch den staatlichen Repressionen zu entgehen. Doch selbst wenn das gelang, blieb nicht selten die Last der Denunziation und sozialen Ausgrenzung.
 
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Einige gaben ihren Willen nach Veränderung auf und zogen sich ins Private zurück, andere versuchten dem Gegenwind stand zu halten und ihre persönliche Freiheit und die Freiheit ihrer Mitbürger zu erlangen. Diejenigen, denen die Ausreise gelang, erwartete der bunte und reiche Westen, mit all seinen positiven wie negativen Überraschungen. Doch am Ende siegte “die Abstimmung mit den Füßen” und die Mauer fiel. Der Rest ist Geschichte.
 
Für uns, die letzten Kinder der DDR, dienen die nachgebauten Spiele und ihre Bastler als Fragmente der Erinnerung und privater Rückblick in die vergangene Zeit. Sich mit diesen Unikaten auseinander zu setzen, bietet uns die Möglichkeit das Alltagsleben in der DDR zu begreifen. Elfer Raus ist dabei ein kleines, simples Kartenlegespiel – doch entstand es zu einer Zeit des revolutionären Umbruchs mit historischer Größe.
 
Eine sehr umfassende Erörterung zum Thema DDR Ausreise bietet folgende private Internetseite: www.ddr-ausreise.de


 
Das Diagramm umfasst keine Erhebungen der Ausreise von Rentner und „Wohnsitzänderungen“ (Zusammenführung von Eltern mit ihren minderjährigen Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen und Ehegatten) und ist allein auf die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin bezogen; Das Diagramm basiert auf einer Zusammenstellung aus Jahresanalysen der Zentralen Koordinierungsgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit von Bernd Eisenfeld [Eisenfeld, Bernd: Die Ausreisebewegung - eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens. In: Ulrike Poppe, Rainer Eckert und Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung: Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR. Berlin, S. 192–223.]
 
Autor: Martin

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