HEIßE KARTEN
Heute wählt die Bundesversammlung das neue Staatsoberhaupt. Mehr als nur gute Karten hat für diese Wahl ein ostdeutscher Pastor. Joachim Gaucks Sieg ist reine Formsache. Es ist Ironie, dass wir am gleichen Tag ein weiteres nachgemachtes Spiel aus der DDR veröffentlichen, bei dessen Bastler – Andreas - es sich ebenfalls um einen ostdeutschen Pastor handelt. Was wundert ihn wohl mehr, dass seine Spielkarten, die er damals aus einem gewissen Mangel heraus ganz harmlos selbst bastelte, zum Exponat erhoben und heute ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden, oder dass einer seiner Kollegen nun auch im Licht der Öffentlichkeit steht und gesamtdeutscher Bundespräsident wird?
Die Kirche spielt eine wichtige Rolle in der Rückschau auf die DDR, da sie wohl die einzige machtvolle Organisation war, deren Interessen und Ausrichtung nicht konform zum Staatsapparat standen. So bot sie für zahlreiche Bürger eine offene Parallelwelt, die im Großen wie im Kleinen Einfluss nahm. Auf unseren Recherchen zeigte sich, dass gerade die kirchlichen Kreise unentdeckte Spielewelten in die DDR brachten und damit nicht zuletzt den Zugang zu vielen Kopiervorlagen schafften. Doch neben dem Einfluss im privaten Umfeld gilt es vielmehr die pazifistische Initiative der Kirche zu betonen, die in den 80er Jahren mit einer sich formierenden Anhängerschaft deutliche Zeichen für Frieden und Freiheit setzten. “Schwerter zu Pflugscharen”, als Bibelspruch, wurde zu einer zentralen Losung. Ausgangspunkt von Massenprotesten waren oft die Kirchenhäuser und christliche Bürgerrechtler gaben elementare Impulse zum Ende der DDR und anschließenden Wiedervereinigung Deutschlands.
Als Bürgerrechtler wird auch Joachim Gauck in den Medien beschrieben, wobei die Debatte, ob man ihn tatsächlich so nennen dürfe, auch nicht lange auf sich warten ließ. Doch verfällt diese Debatte wohl zur Makulatur, besieht man sich die breite Zustimmung der Gesellschaft, die immer aufs Neue hingerissen ist von seinen wohlgewählten Worten, die weitaus authentischer wirken als die Worthülsen zahlreicher übriger politischer Amtsträger. Nominiert von den beiden regierenden Parteien, sowie den Grünen und der SPD aus der Opposition, wird damit erstmals ein Ostdeutscher an die Spitze der Bundesrepublik gehoben. Die Zeit veranlasst diese Tatsache gar “Das Ende des Ossis” auszurufen. Das neue Bild des Ostdeutschen ist damit offenbar ein aktives, initiatives und freiheitliches. Gerade nach seinem desaströs gescheiterten Vorgänger liegt bereits jetzt ein besonders spitzfindiger Blick auf Gauck, dem die Messlatte hoch gehängt wurde. Ob er den Erwartungen seines Amtes und den Hoffnungen der deutschen Bürger gerecht werden kann, wird die Zukunft zeigen. Klar ist schon jetzt, dass es ein historischer Tag der deutschen Politik wird.
Dass wir an einem so politischen Tag versuchen, ein Gespräch über das Spiel “Heiße Karten” anzustoßen, das seit Jahren nicht mehr aufgelegt wird und auch in den Kritiken nicht besonders gut weg kommt, ist nahezu unmöglich. Allerdings war das Spiel immerhin bedeutend genug, als dass ein Pastor sich dazu hinreißen ließ, dieses Kleinod anzufertigen. Möglicherweise hat es gar dazu beigetragen, das tägliche Leben in der DDR – wenn auch nur zu einem verschwindend geringen Bruchteil – ein bisschen bunter zu gestalten und dem ein oder anderen einen kleinen Spielspaß zu bereiten, den es sonst nicht gegeben hätte.
Damit hat unser Spiele-Nachbauer Andreas das praktiziert, was Joachim Gauck schon jetzt als sein Schlagwort predigt: Er hat sich ein Stück eigenverantwortliche Freiheit genommen. In jedem Fall möchten wir an dieser Stelle Andreas danken, der mit “Heiße Karten” ein weiteres Spiel zu unserer Sammlung hinzufügte und Joachim Gauck zu seinem bevorstehenden Wahlsieg gratulieren:
Herzlichen Glückwunsch Herr Gauck. Auch wenn Sie in Ihrem neuen Amt einer Menge Verpflichtungen nachkommen müssen, möchten wir Sie hiermit am 05.05. ins Deutsche SPIELEmuseum Chemnitz zu einer Partie “Heiße Karten” und zu unserer Ausstellungseröffnung “Spielekopien aus der DDR” einladen.Herzlichst,
Ihr Nachgemacht-Team
Autor: Martin
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