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Eine Entdeckung nach fast 30 Jahren

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KARRIERE (Bürokratopoly)

Sie sind verrückt, diese schicksalshaften Verkettungen: Wolfgang Großkopf ist Spielebastler. Er besuchte vor kurzem unsere Ausstellung in Chemnitz. In der Vitrine erkannte er ein Spiel wieder, das ihm seine Nichte zu DDR-Zeiten zuspielte und er nachbaute. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keine Ahnung, wer der Urheber gewesen ist. Erst jetzt, fast 30 Jahre später, lernt er das Originalspiel kennen: Bürokratopoly von Martin Böttger – das Spiel, das es sogar in die Stasi-Akten „schaffte“.

In den 80er Jahren studierte Großkopfs Nichte Tinie in Greifswald. Unter den Studenten wurde, damals wie heute, gespielt. Ein Spiel war besonders angesagt. Es war ein namenloses Spiel und kam nur über Umwege auf den Spieletisch. Ziel des Spiels war es „Staatschef eines imaginären Landes zu werden” - vom einfachen Arbeiter zum Generalsekretär der SED und das mit allen Mitteln. Tinie wusste, dass ihr Onkel ein Spiele-Narr ist und ließ es ihm zukommen: Es als Paket zu schicken war zu gefährlich, also reiste sie von Greifswald nach Erfurt und übergab ihm das große, abgezeichnete Faltblatt samt der Ereigniskarten.

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Der Werkenlehrer Wolfgang Großkopf liebte es, Spiele zu basteln und (weiterzu)entwickeln. Das Spiel ohne Namen war ein gefundenes Fressen für ihn, auch wenn er wusste, dass er es nicht problemlos herumzeigen durfte. Er legte den Spielplan auf die Werkbank und machte aus dem Gesellschaftsspiel, das bisher nur aus einem gefalteten Blatt Papier und einigen Ereigniskarten bestand, ein festes Brettspiel. Plastik, Pappe, Zeitungsausschnitte sowie Filz- und Faserstifte dienten ihm dazu. „Karriere“ taufte er es, „Autor: unbekannt“ schrieb er in die Spielanleitung. Und obwohl das Spiel neben seinem spielerischen Reiz auch mit einigem Humor aufwartet, spielte er es nur selten. Zu offensichtlich war die Symbolik, zu riskant das Spielen damit. Zumal eine große Spieleranzahl (zwischen vier bis acht Spieler) notwendig war. „Die Müllers waren ja furchtbar nette”, erzählt Großkopf. „Aber wir wusste ja auch nicht, was das für Leute waren…” 

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Nach der Wende fügte Großkopf dem Spiel noch zwei Details hinzu, auf die er bis dahin verzichtet hatte. Zum einen verziert er das Dach vom Staatsratsgebäude – dem zentralen Zielfeld im Spiel - mit einer kleinen DDR Flagge. Zum anderen ergänzt er, um jeglichen Zweifel auszuräumen, um welches „imaginäre Land“ es sich hierbei handelte, als Fußnote in der Anleitung: „Gemeint ist die DDR”.

Später übermachte er „Karriere” Rudolf Rühle, dem Spielesammler und Ehrenvorsitzender der Europäischen Spielesammlergilde. Seither hatte Wolfgang Großkopf nichts mehr davon gehört und hätte wohl nicht im Traum damit gerechnet noch zu erfahren, wer der Schalk war, der sich zur Zeit des kalten Krieges ein solches Spiel ausdachte.

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Die Antwort sollte er dann in unserer Ausstellung im Deutschen SPIELEmuseum Chemnitz finden. Dort stand das Originalspiel, dass die Vorlage zu seinem „Karriere“ bot: „Bürokratopoly“ nannte es sich und wurde Anfang der 80er Jahre vom Friedensaktivisten und späterem Leiter der Chemnitzer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde Dr. Martin Böttger entwickelt. Wir haben bereits ausführlich davon berichtet. Dieses Wiedersehen mit dem Spiel stellte für Großkopf nicht allein eine freudige Fügung dar. Es offenbarte ihm auch, wie gefährlich sein Unterfangen war ein regimekritisches Spiel zu kopieren. Schließlich war die Stasi bereits auf dieses Gesellschaftsspiel „mit negativ-feindlichem Charakter“ aufmerksam geworden und die Unterlagen dokumentierten das Spiel in allem Detailreichtum. Auch die Stasi-Unterlagen haben wir zum Teil veröffentlicht.

Wir trafen Wolfgang Großkopf auf einem Campingplatz und befragten ihn zu dieser verrückten Geschichte. Wie das Spiel von Böttger, der damals in Berlin lebte, nach Greifswald gekommen ist, konnte uns bis dato niemand beantworten. Jedoch zeigte sich abermals, welche historischen Verstrickungen über einen Alltagsgegenstand wie ein Spiel rekonstruiert werden können.

 

Hier noch ein Einblick in die Spielanleitung:

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Und zum Vergleich noch ein Blick auf das Originalspiel:

Bürokratopoly_Nachgemacht (2)Bürokratopoly_Nachgemacht (6)Bürokratopoly_Nachgemacht (8)

 

Autor: Martin

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